ERKLÄRUNG VON ENGELBERG

ERKLÄRUNG VON ENGELBERG

Am 22. und 23 Mai 2006 hat in Engelberg der 6. Kongress des Europäischen Verbandes der Standesbeamtinnen und Standesbeamten (EVS) stattgefunden zum Generalthema

 

“Namenskonflikte in Europa – Ursachen, Analysen, Lösungen”

Die in Engelberg versammelten Standesbeamtinnen und Standesbeamten aus den europäischen Staaten Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Vereinigtes Königreich mit Gästen aus Estland und Ungarn.

 

haben festgestellt,

• dass das Nebeneinander unterschiedlicher nationaler Namensrechte den freien Rechtsverkehr von Personen innerhalb Europas erheblich behindert;
• dass den Bürgerinnen und Bürgern Europas durch das Nebeneinander unterschiedlicher nationaler Namensrechte regelmässig beträchtliche administrative Probleme erwachsen;
• dass die Bürgerinnen und Bürger Europas durch hinkende Namensführungen tagtäglich gravierende Unannehmlichkeiten erleiden;
• dass kollisionsrechtliche Vorschriften und Regeln über die Anerkennung von Namen die bestehenden Namenskonflikte in Europa bloss zu einem kleinen Teil lösen können;
• dass aus diesen Gründen im Interesse eines Europas der Bürgerinnen und Bürger ein einheitliches europäisches Namensrecht anzustreben ist;
• dass in einer Übergangszeit ein von den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern Europas frei wählbares supranationales europäisches Namensrecht, das die nationalen Namensrechte unberührt lässt, bis zum Inkrafttreten des einheitlichen europäischen Namensrechts Namenskonflikte in Europa wirksam verhindern kann;
• dass den Staaten Europas heute neben den Namen neue wirkungsvolle Instrumente zur Identifizierung ihrer Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen;
• dass deshalb der Weg offen ist für ein freiheitliches europäisches Namensrecht auf der Basis der Selbstbestimmung (der Autonomie des Einzelnen, des Selbstbestimmungsrechts), der persönlichen Freiheit, die nur durch ein überwiegendes öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter Einschränkungen erleiden darf, im Sinne der folgenden zusammengefassten.

 

Thesen:

1. Die Namensführung einer Person setzt sich zusammen aus Vornamen und Nachnamen. Der Begriff “Familienname” wird nicht verwendet; der Nachname dokumentiert nicht zwingend die Zugehörigkeit zu einer Familie.
2. Jede Person muss mindestens einen Vornamen und einen Nachnamen führen. Die Anzahl der Namen einer Person soll in dem Sinne begrenzt sein, als die Person verpflichtet ist, im Rechtsverkehr alle ihre Namen tatsächlich zu benutzen.
3. Die Namen werden mit einem Zeichensatz reproduziert, der alle Buchstaben der in Europa gesprochenen Amtssprachen wiedergeben kann, die auf dem lateinischen Alphabet aufbauen.
Die diakritischen Zeichen sollen in alle Register, Urkunden und Ausweise Eingang finden.
Die Inhaber der elterlichen Sorge wählen Vornamen und Nachnamen des Kindes frei.
Bei nachträglichen Änderungen in der Abstammung steht es den Inhabern der elterlichen Sorge frei, die Namen des Kindes neu zu bestimmen. Bei Uneinigkeit der Inhaber der elterlichen Sorge entscheidet das Los.
Spätestens nach dem 10. Altersjahr soll das Kind mitentscheiden können.
Bei Eheschliessung, Begründung einer Lebenspartnerschaft, Auflösung der Ehe, Auflösung der Lebenspartnerschaft, Geschlechtsumwandlung, überhaupt bei jeder Änderung des Personen- oder Familienstandes steht es der betroffenen Person frei, ihre Namen neu zu bestimmen.
Alle Namensbestimmungen erfolgen durch Erklärung gegenüber der Standesbeamtin oder dem Standesbeamten.
4. Es gibt keine gesetzliche Beschränkung der Freiheit, seine Namen (Vornamen und Nachnamen) zu ändern. Es gibt keine öffentlich-rechtliche Namensänderung. Alle Änderungen von Vornamen und Nachnamen erfolgen durch Erklärung gegenüber der Standesbeamtin oder gegenüber dem Standesbeamten und werden im Personenstandsregister beurkundet.
Das Standesamt stellt auf Begehren jederzeit Auszüge auf die aktuellen Vornamen und Nachnamen aus.
5. Statutenwechsel bewirkt keine Änderung der Namen.
Bei Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit oder bei Begründung des Wohnsitzes in einem anderen Staat sollen sich die Namen nicht automatisch ändern.
6. Personen mit zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten haben die freie Wahl, welchem Namensrecht sie sich unterstellen wollen.

 

Appell:

Die Verbände des Europäischen Verbandes der Standesbeamtinnen und Standesbeamten (EVS) richten den dringenden Appell an die zuständigen Instanzen der Europäischen Union, im Rahmen ihrer Kompetenzen im Sinne der Thesen ein einheitliches europäisches Namensrecht zu schaffen. Die schweizerischen Behörden werden aufgerufen, sich dieser Regelung anzuschliessen.
Weil ein einheitliches europäisches Namensrecht aus verschiedenen Gründen vorerst nicht direkt angesteuert werden kann, appellieren wir an die Europäische Kommission und an das Europäische Parlament, in einem ersten Schritt ein einheitliches IPR auf dem Gebiet des Namensrechts zu schaffen inklusiv ein supranationales europäisches Namensrecht im Sinne der Thesen, das über die weiter bestehenden nationalen Namensrechte übergestülpt wird und von den Bürgerinnen und Bürgern Europas anstelle der weiter bestehenden nationalen Namensrechte durch Optionserklärung frei gewählt werden kann. Die schweizerischen Behörden werden aufgerufen, sich dieser Regelung anzuschliessen.
Und weil auch dieses durch Option frei wählbare supranationale europäische Namensrecht sich nicht kurzfristig verwirklichen lässt, appellieren wir an die nationalen Gesetzgeber, als Sofortmassnahme ihre nationalen Namensrechte im Sinne der Thesen zu harmonisieren.

Besuchadresse
Bundesverband der Deutschen
Standesbeamtinnen
und Standesbeamten
(BDS) Bahnhofstr. 14
36364 Bad Salzschlirf
Deutschland