Simon Rijsdijk, Präsident EVS Eröffnungsworte 22. EVS-Konferenz in Fulda, Deutschland

Eröffnungsworte des EVS-Präsidenten – Herr Simon Rijsdijk

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, lieber Kollege Präsident BDS Volker Weber,

Es ist mir eine große Ehre, Gast in der schönen Stadt Fulda zu sein zu. Bekannt als Bischofsstadt und für ihre barocke Architektur. Die Beerdigung des in der Nähe von Dokkum in den Niederlanden getöteten Bischofs Bonifatius im Kloster Fulda machte die Stadt zu einem wichtigen Wallfahrtsort. Aus dieser Zeit stammt auch die romanische Michaelskirche, eine der ältesten Kirchen Deutschlands. Reliquien von Bonifatius befinden sich heute in der späteren Krypta unter der Kathedrale.

Fulda, eine Stadt in der Nähe von Bad Salzschlirf, Sitz unseres Schwesterverbandes Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten, wo auch deren Akademie untergebracht ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Beruf deckt ein breites Themenspektrum im Bereich des Personen- und Familienrechts ab. Diese Themen haben mit sich verändernden familiären Bindungen in unserer Gesellschaft zu tun. Ich erwähne Adoption, Leihmutterschaft, Sorgerechtsfragen, Namensrechte, komplexe Scheidungen, Unterhalt, Mehrelternschaft, usw. Dies ist nur eine Auswahl der Themen rund um das Personen- und Familienrecht.

Es ist gut, in diesen Tagen gemeinsam über die verschiedenen Entwicklungen in diesen Bereichen nachzudenken.

Dabei handelt es sich um Themen, die Menschen betreffen und auch ethische Überlegungen beinhalten. Man kann es auf unterschiedliche Weise betrachten. Wenn es um moralische und ethische Fragen geht, betrifft dies die Politik.

Ein wichtiges Thema ist nicht nur die Anerkennung formaler Beziehungen gleichgeschlechtlicher Paare innerhalb Europas, sondern auch die Anerkennung verschiedener Formen der Elternschaft innerhalb der Europäischen Union, insbesondere für „Regenbogenfamilien“.

In ihrer Rede zur Lage der Union 2020 erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass im Rahmen der LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie die gegenseitige Anerkennung familiärer Beziehungen in der EU angestrebt werde. „Wenn man in einem Land älter ist, ist man in jedem Land älter“, sagte der Kommissionspräsident.

Doch diese eingängige Aussage oder dieser Einzeiler spiegelt sicherlich nicht die Realität rund um die Anerkennung der Elternschaft in Europa wider. Ziel ist eine einheitlichere Anerkennung der Elternschaft innerhalb der EU.

Die rechtliche Abstammung betrifft die familiäre Bindung zwischen einem Kind und einer (erwachsenen) Person. Nationale Rechtssysteme legen bei der Gewährung der rechtlichen Elternschaft nicht nur Wert auf die biologische Realität, sondern auch auf die gewollte und soziale Elternschaft.

Die Beschreibung der „traditionellen Familie“ lautet, dass es sich um eine Familie handelt, die aus einem Mann und einer Frau (vorzugsweise verheiratet) besteht, die gemeinsam biologische/genetische Kinder haben und diese Kinder gemeinsam in einem monogamen, nachhaltigen Zusammenleben großziehen. Wenn diese Familie das Aushängeschild der „traditionellen Familie“ ist, gibt es bald viele Familien, die außen vor bleiben; wie Einelternfamilien und neu gegründete Familien oder (Plus-Eltern-)Familien nach Scheidung oder Trennung der Eltern. Zu nicht(?)-traditionellen Familien zählen häufig auch Familien mit zwei Vätern, zwei Müttern oder Trans-Eltern (LGBT-Parenting), Familien, in denen Kinder durch künstliche Fortpflanzungstechniken wie Spenderschaft oder Leihmutterschaft geboren werden. In diesen Fällen sind grundsätzlich mehr als zwei Parteien (zum Beispiel eine Spenderin oder Leihmutter und/oder eine Eizellspenderin) an der Feststellung der Elternschaft beteiligt.

Darüber hinaus gelten in jedem Land eigene Regelungen zur Entstehung der rechtlichen Elternschaft, und die Anerkennung der im Ausland geschaffenen rechtlichen Elternschaft ist auch in den von Land zu Land unterschiedlichen Regeln des Internationalen Privatrechts geregelt.

Dies kann Auswirkungen auf die Personenfreizügigkeit haben.

Die rechtliche Elternschaft ist daher nicht nur für das Familienrecht wichtig. Es ist die Grundlage vieler Rechte und Pflichten, einschließlich des Erwerbs der Staatsangehörigkeit und des Aufenthaltsrechts. Im Familienrecht hat es unter anderem Konsequenzen für die elterliche Sorge, den Kindesunterhalt und das Erbe.

Nach Ansicht der Europäischen Kommission ist eine einheitlichere Anwendung der Regeln, auf deren Grundlage die Elternschaft innerhalb der EU anerkannt und festgestellt wird, wünschenswert. Es gibt bereits europäische Regelungen, die IPR-Regelungen zu den Folgen der rechtlichen Elternschaft, wie z. B. elterliche Sorge, Unterhaltspflichten und Erbrecht, enthalten, die bereits mehr oder weniger stark durch EU-Recht geregelt sind. Aber nicht um die Ursprünge und die Anerkennung der Elternschaft selbst innerhalb der EU.

Das in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens steht in einem unklaren Verhältnis zum rechtlichen Schutz nichttraditioneller Familien.

Seit dem bahnbrechenden Marxck-Urteil im Jahr 1979, das das Ende der rechtlichen Diskriminierung zwischen Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern einläutete, hat sich das Familienrecht über die Grenzen der „traditionellen“ (biologischen) Elternschaft und Ehe hinaus weiterentwickelt. Medizinische Entwicklungen im Bereich künstlicher Reproduktionstechniken, veränderte gesellschaftliche Ansichten über Elternschaft sowie die weitere Emanzipation und Regulierung von LGBT in Europa haben diese Entwicklungen mitgeprägt. Im Laufe der Jahre hat sich auch (die Auslegung) der Europäischen Menschenrechtskonvention geändert, und diese Änderungen sind ein Hinweis auf die Entwicklung vorherrschender Ansichten über Familie und Elternschaft.

Bei vielen Themen im Bereich des Personen- und Familienrechts bestehen zwischen den Ländern noch immer Unterschiede. Auch das ist nicht verwunderlich, denn wie ich bereits angedeutet habe, geht es bei den Themen hauptsächlich um moralische und ethische Fragen. Wie will eine Gesellschaft das Leben organisieren? Kulturelle Unterschiede bestimmen daher auch unterschiedliche Ausrichtungen in den Gesetzen und Vorschriften der Länder. Mit Respekt.

Es kann auch zu einem „Kurzschluss“ zwischen den beteiligten Rechtssystemen kommen.

Kurzschluss, der sich dann indirekt auf die Freizügigkeit von Personen und die Anwendung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention auswirkt.

In wenigen Wochen finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Es ist das zehnte Mal, dass das Europäische Parlament direkt gewählt wird, und das erste Mal seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union.

In immer mehr Ländern innerhalb der EU beobachten wir Erdrutsche bei den letzten Wahlen. Dies ist auch in den Niederlanden der Fall. Es wird erwartet, dass dies auch bei der Europawahl passieren wird und sich das Europäische Parlament erheblich verändern wird.

Es geht um das Wachstum politischer Parteien, die im Allgemeinen protektionistischer sind und der Meinung sind, dass jedes Land selbst bestimmen sollte, wie es die Gesellschaft organisiert, die weniger auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet sind und konservative Werte in Bezug auf Familienleben und Gesellschaft haben, wie es die Menschen wollen ihr Leben zu organisieren.

Was könnte dies für Fragen im Bereich des Personen- und Familienrechts bedeuten? Überschätzen wir es nicht, denn gleichzeitig wird nicht erwartet, dass die jeweilige politische Bewegung eine Mehrheit im Europäischen Parlament bilden wird.

Und doch…

Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen bin ich äußerst gespannt auf die Vorträge der nächsten Tage. Es gibt ein hervorragendes Programm mit Beiträgen aus Lettland, Deutschland, Estland, Italien, Slowenien, Polen, den Niederlanden, der Slowakei, Belgien, der Schweiz, Portugal und Bulgarien. Ein Kompliment an die Organisatoren dieser EVS-Tagung ist daher angebracht!

Ich wünsche Ihnen allen eine lehrreiche und inspirierende Konferenz und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Besuchadresse
Bundesverband der Deutschen
Standesbeamtinnen
und Standesbeamten
(BDS) Bahnhofstr. 14
36364 Bad Salzschlirf
Deutschland